Dieses Glossar enthält Definitionen und kurze Erläuterungen sowie Literaturhinweise zu Schlüsselbegriffen aus dem Bereich der Begabungs- und Leistungsförderung, die für die Forschungs- und Entwicklungsarbeit im Projekt "Leistung macht Schule" eine tragende Rolle spielen. Darüber hinaus werden auch für den Projektkontext relevante Eigennamen erklärt. Autorinnen und Autoren sind die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Forschungsverbunds LemaS. Das Glossar ist alphabetisch sortiert und wird regelmäßig aktualisiert. 

  • Design Based Research (DBR)

    Design Based Research (DBR), auch „design experiments“, „(educational) design research“, „development research“, ist eine Form der Bildungsforschung, die ein praktisches Gestalten im realen Bildungskontext mit Forschung verbindet und damit auch Erkenntnisziele im Blick hat, die wissenschaftlich kontrolliert zur Theorieentwicklung beitragen

    Design Based Research ist ein methodologischer Rahmen, der dem praktischen und konzeptionellen Handeln eine Orientierung bietet. Ausgangspunkt ist ein in der Bildungspraxis verortetes Problem, zu dem Lösungen in Form von Interventionen gesucht werden (z.B. als Entwicklung von Curricula, Unterrichtseinheiten, Materialien oder digitalen Tools), die in realen Bildungssituationen einsetzbar sind. Charakteristisch dabei ist ein iteratives Vorgehen, häufig als Zyklen beschrieben, bei dem Design und Konstruktion, Evaluation und Reflexion einen durch Wechselläufigkeit und Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Aktivitäten gekennzeichneten Entwicklungsprozess darstellen. In DBR-Projekten gehen Wissenschaftler/innen und Praktiker/innen eine eng verzahnte Kooperation ein, da die entwickelten Lösungen immer wieder überprüft und verbessert werden. Zur Absicherung der theoretischen Erkenntnisse wird oftmals mit einer vergleichender Fallanalyse gearbeitet.

    Weiterführende Literatur:

    Design-Based Research Collective (2003). Design-Based research: An emerging paradigm for educational inquiry. Educational Researcher, 32 (1), 5-8.

    Euler, D. (2014). Design research – a paradigm under development. In D. Euler & P.F.E. Sloane (Hrsg.), Design-Based Research (Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, 27, 15-41). Stuttgart: Steiner.

    Getenet, S. (2019). Using design-based research to bring partnership between researchers and practitioners. Educational Research, 61 (4), 482-494.

  • DiaMINT

    Das Akronym DiaMINT steht für "Diagnosebasierte MINT-Förderung" und versteht sich als Kurzfassung für die LemaS-Teilvorhaben an der Freien Universität Berlin (Teilprojekt 3, 9 und 11) zur diagnosebasierten individuellen Förderung leistungsstarker und potenziell leistungsfähiger Schülerinnen und Schüler im Regelunterricht der MINT Fächer. 

    Die Abkürzung MINT steht für die Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik - inkl. des naturwissenschaftlich-technischen Anteils des Sachunterrichts.

  • diFF-Projekt

    Der Teilprojekteverbund 46 trägt den Titel „Adaptive Formate des diagnosebasierten individuellen Forderns und Förderns im Regelunterricht“, kurz diFF. Hier werden Projekte zum selbstregulierten Lernen umgesetzt, welche auf den Interessen der Schülerinnen und Schüler fußen. 

    Grundlage ist das inzwischen seit mehr als 15 Jahren bestehende Forder-Förder-Projekt (FFP), welches sich mittlerweile an über 200 Schulen allein in Nordrhein-Westfalen etabliert hat. Entstanden im Kontext eines Habilitationsprojekts von Fischer (2006) wurde das Projekt im Rahmen von darauf aufbauenden Dissertationsprojekten sowohl zur Förderung von Schülerinnen und Schüler als auch zur Aus- und Weiterbildung von (angehenden) Lehrpersonen weiterentwickelt (u.a. Bayer, 2009; Rott, 2017). Die aktuelle Weiterentwicklung erfolgt im Rahmen von LemaS mit 32 Projektschulen aus 15 Bundesländern. Dafür wird das FFP unter dem neuen Namen „diFF“ auf neue Projektarten, Schulformen sowie die verschiedenen Bundesländer übertragen (Vohrmann, Fischer & Fischer-Ontrup, 2020). 

    Weiterführende Literatur

    Bayer, A. (2009). Individuelle Förderung von Strategien selbstgesteuerten Lernens im Regelunterricht. Dissertation. Münster. 

    Fischer, C. (2006). Lernstrategien in der Begabtenförderung. Eine empirische Untersuchung zu Strategien Selbstgesteuerten Lernens in der individuellen Begabungsförderung. Habilitationsschrift. Münster.

    Lipstein, R. L. & Renninger, K. A. (2006). Chapter 7: "Putting Things into Words": The Development of 12-15-Year-Old Students' Interest for Writing. In P. Boscolo & S. Hidi (Hrsg.), Writing and Motivation (S. 113–140). Oxford: Elsevier. https://doi.org/10.1163/9781849508216_008

    Rott, D. (2017). Die Entwicklung der Handlungskompetenz von Lehramtsstudierenden in der Individuellen Begabungsförderung (Begabungsförderung, Band 2). Münster: Waxmann.

    Vohrmann, A., Fischer, C. & Fischer-Ontrup, C. (2020). Adaptive Formate des diagnosebasierten individualisierten Forderns und Förderns (Teilprojekte 4–6). In G. Weigand, C. Fischer, F. Käpnick, C. Perleth, F. Preckel, M. Vock et al. (Hrsg.), Leistung macht Schule. Das interdisziplinäre Projekt zur Förderung leistungsstarker und potenziell besonders leistungsfähiger Schüler*innen (Leistung macht Schule (LemaS), Bd. 1) (S. 76–84). Weinheim: Beltz.

  • Differenzierung (innere/äußere)

    Differenzierung in Schule und Unterricht hat das Ziel, Schülerinnen und Schüler entsprechend ihren individuellen Lern- und Leistungspotenzialen, Interessen und Fähigkeiten adäquate Lernanreize und Lernumgebungen zu schaffen. Dabei lassen sich zwei unterschiedliche Arten der Differenzierung unterscheiden. 

    1 ) Innere Differenzierung (auch Binnendifferenzierung) im Unterricht

    Innere Differenzierung umfasst grundsätzlich alle Formen im Rahmen des Klassenunterrichts, die dazu beitragen, dass Schülerinnen und Schüler in ihren unterschiedlichen Lernvoraussetzungen, Interessen und Leistungspotenzialen individuell gefördert werden. Lerninhalte und -ziele, Arbeits- und Bewertungsformen werden dabei an die Lerngruppe in ihrer Heterogenität und Diversität angepasst. 

    Innere Differenzierung eignet sich deshalb besonders für die Begabungs- und Begabtenförderung, da sie erweiterte Lern-, Leistungs-, und Bewertungsformen sowie individualisiertes Lernen in differenzierenden Lernlandschaften bereitstellt.  

    Eine besondere Form der Inneren Differenzierung stellt die Aufgabendifferenzierung dar. In Lernsettings, die einem gestuften Differenzierungsansatz folgen, werden Aufgaben und Materialien auf verschiedenen Schwierigkeitsgraden (Niveaus) vorgehalten. Dabei kann die Differenzierung ‚von oben‘ oder ‚von unten‘ geschehen, d.h. die Zuordnung zu einem bestimmten Niveau erfolgt durch die Lehrperson oder durch die/den Lernende/n selbst. Einen anderen Zugang bietet die Differenzierung auf ‚natürliche‘ Art und Weise. Hier stellt eine (offene bzw. komplexe) Aufgabe die gleichen Anforderungen an alle, legt ein für alle erreichbares Aufgabenziel fest und wirkt dann in der Arbeit am gemeinsamen Gegenstand differenzierend; die Differenzierung ergibt sich also im Verlauf der Bearbeitung durch das Aufrufen und die Weiterentwicklung individueller Leistungspotenziale sowie durch die Qualität (Komplexität, kognitive Tiefe, Differenziertheit, Ausgestaltung usw.) des Aufgabenprodukts. Für Lernende, die zur erfolgreichen Bewältigung der Unterstützung bedürfen, werden Angebote bereitgestellt (scaffolding). Aus der Diversität der Ausgangslagen resultieren Unterschiede bei den Lernenden hinsichtlich der Herangehensweisen an die Problemlösung, der Entscheidungen im Verlauf des Arbeitsprozesses, der Interaktion und der erarbeiteten Produkte. 

    2) Äußere Differenzierung

    Die äußere Differenzierung umfasst Maßnahmen der zeitweisen bis dauerhaften Gruppierung von Schülerinnen und Schülern in möglichst homogenen Gruppen, in denen Curriculum, Aufgaben und Lernziele an die jeweiligen Gruppen angepasst werden. 

    Beispiele der zeitweisen Gruppierung sind die temporäre Auflösung des Klassenverbandes in Neigungsgruppen oder Niveaugruppen. Beispiele der längerfristigen bis dauerhaften Gruppierung sind Jahrgangsklassen, Kurssysteme wie Grund- und Leistungskurse oder verschiedene Schularten oder Schulprofile.

    Heterogenitäts- und Diversitätsdiskurse der letzten zwanzig Jahre haben statische Einteilungen von Schülerinnen und Schüler in verschiedene Schularten oder Schultypen als „Scheinhomogenität“ erkannt. 

    Weiterführende Literatur:

    Eisenmann, Maria/Grimm, Thomas (2016). Heterogene Klassen – Differenzierung in Schule und Unterricht. Baltmannsweiler: Schneider Verlag. 

    Müller, Frank (2018). Praxisbuch Differenzierung und Heterogenität. Methoden und Materialien für den gemeinsamen Unterricht. Weinheim/Basel: Beltz.

  • Diversitäts- und differenzsensibles Lernen

    Diversitäts- und Differenzsensibilität umfasst die besondere Berücksichtigung von individuellen Besonderheiten und Unterschieden im Sinne eines wertschätzenden Umgangs mit der Vielfalt der Schülerinnen und Schüler im Hinblick auf die Begabungs- und Leistungsförderung. 

    Um diversitäts- und differenzsensibles Lernen im schulischen Kontext zu realisieren, gelten offene Unterrichtsformen mit individualisiertem, kooperativem, selbstgesteuertem und binnendifferenziertem Lernen als Bezugspunkt zeitgemäßer Didaktik. Dabei handelt es sich um Arbeitsformen, die auch im Rahmen begabungs- und leistungsförderlichen Unterrichts zentral sind, wobei insbesondere der Projektunterricht besonders häufig praktiziert wird, zumal er weiterreichende Perspektiven zum selbsttätigen, entdeckenden und partizipativen Lernen bietet (Budde, 2018). Insgesamt sollte diversitäts- und differenzsensibles Lernen den Schülerinnen  und Schülern ermöglichen, an für sie interessanten und relevanten Gegenständen in ihrem individuellen Tempo und Fähigkeitsniveau im Sinne der Zone der nächsten Entwicklung mit unterschiedlichen methodischen und materialspezifischen Zugängen zu lernen.

    Im Sinne einer inklusiven Begabungsförderung sollten potenzialorientierte Strukturen zum einen den speziellen Lernbedürfnissen von Schülerinnen und Schülern mit (unter-)durchschnittlichen Leistungspotenzialen zugutekommen. Zum anderen müssen im Rahmen einer potenzialorientierten Förderung auch hohe Leistungspotenziale von Schülerinnen und Schülern aus bildungsbenachteiligten Lagen (sog. begabte Minoritäten) oder mit Benachteiligungen (sog. Twice Exceptionals) Berücksichtigung finden. Denn nicht immer gelingt es potenziell (besonders) leistungsfähigen Schülerinnen und Schüler ihr (hohes) individuelles Fähigkeitspotenzial in entsprechende Schulleistungen umzusetzen, so dass hier von Underachievement gesprochen wird. Häufig liegen Motivations- und Selbststeuerungsschwierigkeiten, Teilleistungsschwierigkeiten wie Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten oder sonstige physische, psychische oder emotionale Hindernisse bei der Entwicklung vor. Auch sozial benachteiligte Lagen bzw. ein bildungsferner Familienhintergrund stellen Barrieren für die Begabungsentfaltung dar.
     

    Weiterführende Literatur:

    Budde, J. (2018). Heterogenität in Schule und Unterricht | bpb. Bundeszentrale für politische Bildung. Zugriff am 03.12.2020. Verfügbar unter: https://www.bpb.de/lernen/digitale-bildung/werkstatt/266110/heterogenitaet-in-schule-und-unterricht

    Österreichisches Zentrum für Begabtenförderung und Begabungsforschung. (2017). Wege in der Begabungsförderung. Eine Methodensammlung für die Praxis (2. überarbeitete und ergänzte Auflage). Zugriff am 01.12.2020. Verfügbar unter: https://www.oezbf.at/wp-content/uploads/2017/03/Methodenskript_Neuauflage_WEB.pdf

    Pfahl, L. & Seitz, S. (2014). Inklusive Schulentwicklung als Impuls für die Begabungsförderung. In A. Hackl, C. Imhof, O. Steenbuck & G. Weigand (Hrsg.), Begabung und Traditionen (KARG Hefte – Beiträge zur Begabtenförderung und Begabungsforschung, Bd. 6, S. 46–57). Frankfurt am Main.

    Reis, S. M., Baum, S. M. & Burke, E. (2014). An Operational Definition of Twice-Exceptional Learners. Gifted Child Quarterly, 58(3), 217–230. https://doi.org/10.1177/0016986214534976 

    Stamm, M. (2014). Minoritäten als Begabungsreserven. In M. Stamm (Hrsg.), Handbuch Talententwicklung. Theorien, Methoden und Praxis in Psychologie und Pädagogik (S. 375–384). Bern: Huber.

  • Drehtürmodell

    Drehtürmodelle stellen eine Form der schulischen Begabtenförderung dar, bei denen Schülerinnen und Schüler regelmäßig für einen bestimmten Zeitraum den regulären Unterricht in einem oder mehreren Fächern – entsprechend ihrer Potenziale und Leistungsstärken – verlassen, um gemäß einer individuellen Förderung an Inhalten zu arbeiten, die ihrem Leistungsvermögen entsprechen. 

    Wenngleich in Deutschland „das Drehtürmodell“ häufig als Ansatz der Akzeleration verstanden wird – insbesondere durch die Teilnahme am Unterricht einer höheren Klassenstufe – geht das Format ursprünglich auf Enrichment orientierte Ansätze, insbesondere auf das Enrichment Triad Model nach Renzulli (1976), zurück. Grundlegende Aspekte sind dabei das forschende Lernen sowie die selbstständige interessengeleitete Themenwahl. Für das Drehtürmodell existieren vielfältige Organisationsformen, die unterschiedlich stark die ursprünglichen Grundideen verfolgen. Einen bereichsunspezifischen Klassifizierungsansatz liefert Greiten (2016, S. 25), in dem die folgenden sechs verschiedenen Typen insbesondere nach Organisationsmerkmalen unterschieden werden: 

    • Teilnahme am Unterricht eines anderen Jahrgangs, 
    • Teilnahme am Unterricht desselben Jahrgangs, aber in einer anderen Lerngruppe, 
    • gezielte Wahl von inhaltlich definierten Drehtürprogrammen, 
    • Kooperation nach außen, 
    • Variationen des Forder-Förder-Projektes (z. B. Fischer, Kaiser-Haas & Konrad (2007)), 
    • freie Wahl/ selbstständige Projektarbeit/ individuelle Gestaltung ohne definierte Präsentation. 

    Neben dem analogen Drehtürmodell werden zunehmend auch digitale Formen der Drehtür entwickelt, die Schülerinnen und Schülern weitere Möglichkeiten der individuellen Begabungs- und Begabtenförderung bieten.

    Weiterführende Literatur:

    Greiten, S. (2016). Das Drehtürmodell in der schulischen Begabtenförderung. Studienergebnisse und Praxiseinblicke aus Nordrhein-Westfalen. Frankfurt: KARG-Stiftung. 

    Fischer, C., Kaiser-Haas, M., und Konrad, M. (2007). Forder-Förder-Projekt zur Begabtenförderung im Drehtürmodell und zur individuellen Förderung im Regelunterricht (FFP). Individuelle Förderung – Begabtenförderung. Beispiele aus der Praxis, 74 - 78. Münster: Internationales Centrum für Begabungsforschung.

    Renzulli, J. S. (1976). Enrichment triad modelguide for developing defensible programs for gifted and talented. Gifted Child Quarterly, 20(3), 303 – 326.